Entwicklung des Rassegedankens
“Das Recht des Stärkeren”, “Fressen oder gefressen werden” – Grundlage der rassistischen Ideen im 19. Jahrhundert war ein falsch verstandener Darwinismus. Denn Charles Darwin sprach nicht davon, dass der “Stärkere” im “Kampf ums Dasein” erfolgreich sei, sondern der am besten Angepasste. Die Mitglieder einer Art, die sich am besten an ihre natürliche Umgebung anpassen könnten, würden den höchsten Fortpflanzungerfolg haben. “Natürliche Auslese” nannte Charles Darwin diesen Prozess, den er für den Motor hielt, der die Evolution vorantreibe.
Natürliche Auslese
In der Natur herrsche ein stetiger Kampf ums Dasein. In diesem Kampf setze sich nur der Fitteste durch. Diesen Prozess nannte Charles Darwin “the survival of the fittest”. Dies sei das Grundprinzip, das die Entwicklung der Arten vorantreibe. Ob Mikroorganismus oder Säugetier, das Prinzip “fit oder unfit” bestimme das Überleben einer Spezies.
Fit, so Charles Darwin, habe nichts mit Stärke oder körperlicher Kraft zu tun. Eine Pflanze, die mit wenig Wasser auskommt, sei nicht stärker als eine Pflanze, die viel Wasser braucht. Anpassungsfähigkeit und nicht Stärke sichere das Überleben einer Spezies. In seinem berühmten Buch “On the Origin of Species by Means of Natural Selection” (“Über die Entstehung der Arten durch natürliche Selektion”), das 1859 veröffentlicht wurde, beschrieb Darwin diesen hochkomplexen Prozess als eine langsame, über Tausende von Jahren ablaufende Entwicklung.
Sozialdarwinismus
Charles Darwin war kein Rassist. Ein Missverständnis, das sich zum Teil bis heute hartnäckig hält. Der Begriff “Sozialdarwinismus” ist aber zu Unrecht mit dem Namen des großen britischen Forschers verbunden. Auf tragische Weise ist sein Name mit den rassistischen Ideologien des 19. Jahrhunderts verbunden. In ganz Europa machten sich Wissenschaftler daran, Darwins Theorie von der “natürlichen Selektion” auch auf die Menschheit zu übertragen. Die Sozialdarwinisten glaubten, dass Menschen und Gesellschaften in einem stetigen “Kampf ums Dasein” verwickelt seien. Ein Kampf, in dem sich nur der “Stärkere” durchsetzen werde. Rassismus, Kolonialismus und soziale Ungerechtigkeit konnten auf diese Weise begründet werden, in den Status eines ewig gültigen “Naturgesetzes” erhoben werden. Es sei schlicht das “Recht des Stärkeren” über die Schwachen zu herrschen, oder sie aus Gründen der “Arterhaltung” einfach zu eliminieren.
“Kühle Engländer” – “wilde Afrikaner”
Biologen und Mediziner begannen Ende des 19. Jahrhunderts die Menschheit in Grundrassen einzuteilen. Man sprach vom “afrikanischen Köpermenschen”, als ein Wesen, das einzig von seinen Trieben gesteuert wird. Dem “asiatischen Seelenmenschen” schrieb man eine Neigung zur Spiritualität zu. An der Spitze dieser Hierarchie stand der “rationale Geistesmensch”, der Vertreter der weißen Rasse. Diese willkürliche Einteilung wurde weiter verfeinert. Biologische Merkmale wurden mit sozialen Eigenschaften kombiniert. Der berühmte deutsche Biologe Ernst Haeckel (1834-1919) stellte etwa die These auf, dass Rassenzugehörigkeit den Charakter eines Menschen bestimme: Der weiße Nordeuropäer sei kühl und überlegt, im Gegensatz dazu etwa sei der Indianer impulsiv, der Afrikaner triebhaft, Südamerikaner hätten eine Neigung zur Melancholie. Rassen könnten geschäftstüchtig, kriegerisch oder bäuerlich sein.
“Rassenreinheit”
Überall in Europa begann man den Wurzeln der “eigenen” Rasse nachzuforschen. Wobei Rasse mit Nation gleichgesetzt wurde. Hier kannte der Erfindungsreichtum der Rassenideologen keine Grenzen. Populär in Deutschland war der Mythos von der “Germanischen oder nordischen Rasse”. Vordenker waren der Franzose Arthur Comte de Gobineau (1816-1882) und der Brite Houston Stewart Chamberlain (1855-1927). Gobineau und Chamberlein wurden zu den Stammvätern der Rassenideologie der Nationalsozialisten. Beiden gemeinsam war eine Phobie vor der sogenannten “Rassenvermischung”: Ein Volk, das sich mit dem Erbgut anderer Rassen zu stark vermische, werde in Dekadenz versinken und sei zum Aussterben verurteilt.
Gobineau vertrat die Ansicht von der körperlichen und geistigen Verschiedenheit der Rassen. Die überlegene Rasse sei die nordische. Der “weiße Arier” sei zum Herrschen bestimmt. Der Niedergang einer Kultur, so Gobineau, würde durch “Rassen-mischung” verursacht. Chamberlain betrachtete die “germanische Rasse” als Retter der Menschheit, als Erbe der Griechen und Römer. Um ihren Kulturauftrag zu erfüllen, müssten die germanischen Arier einen bedingungslosen Kampf gegen ihre Feinde. Als Hauptfeind sah Chamberlain hier das Judentum. Er klassifizierte die Juden nicht als Religionsgemeinschaft, sondern als eigene “Rasse”.
“Menschenzucht – Eugenik”
Die Rassenideologen gingen immer weiter: Wenn es in der Natur einen Selektionsmechanismus gebe, sollte der Mensch dann nicht in diesen Prozess eingreifen, ihn beschleunigen und optimieren? Die Anhänger der Eugenik (von griechisch “eu”, gut, und “genic”, einer Ableitung von Geburt) kamen zu dem Schluss, dass der Prozess der Zivilisation die “natürliche” Selektion verhindere, da sich kranke, arme und schwache Menschen ungehindert fortpflanzen könnten. Deshalb wollten sie die Fortpflanzung von “Erbgesunden” fördern (positive Eugenik) und die von “Erbkranken” verhindern (negative Eugenik). Als Begründer der Eugenik gilt ein Vetter Charles Darwins, der berühmte britische Mathematiker Francis Galton (1822-1911). In einer groß angelegten Studie versuchte Galton zu beweisen, dass Hochbegabung vererbbar ist. Er war fasziniert von der Evolutionstheorie Darwins und trat für eine Verbesserung des menschlichen Erbmaterials durch Züchtung ein. In seinen Schriften forderte er eine staatliche Förderung der englischen Eliten. Sie sollten früh heiraten und viele Kinder zeugen. Dahinter stand die naive Vorstellung, auf diese Weise immer mehr hochbegabte und gesunde Engländer produzieren zu können. Eugenische Bewegungen entstanden in zahlreichen europäischen Ländern und in den USA. Das erste Gesetz zur Zwangssterilisation von sogenannten Erbkranken wurde 1896 in Connecticut (USA) beschlossen.
“Rassenhygiene”
Ende des 19. Jahrhunderts entstand die deutsche Version der Eugenik – die “Rassenhygiene”. 1905 gründete der Mediziner Alfred Ploetz die “Gesellschaft für Rassenhygiene”. Im Rückblick zeigt sich die schleichende Brutalisierung dieser damals als fortschrittlich geltenden Forschungsrichtung: Trat Alfred Ploetz “nur” dafür ein, den “Schutz der Schwachen” einzuschränken, um die “Vervollkommnung” des Erbgutes zu erreichen, so kam im Jahre 1916 der Münchner Arzt Wilhelm Schallmayer zu dem Ergebnis, “dass minderwertige Keimzellen keinen Anteil an der Fortpflanzung der Nation haben sollen”.
Vier Jahre später verfassten der Jurist Karl Binding und der Psychiater Alfred Hoche die Schrift “Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens”, in der die Tötung von behinderten Neugeborenen gerechtfertigt wird: “Die unheilbar Blödsinnigen… haben weder den Willen zu leben noch zu sterben. So gibt es ihrerseits keine beachtliche Einwilligung in die Tötung, andererseits stößt diese auf keinen Lebenswillen, der gebrochen werden müsste. Ihr Leben ist absolut zwecklos, …. Für ihre Angehörigen wie für die Gesellschaft bilden sie eine furchtbare schwere Belastung. Ihr Tod hinterlässt nicht die geringste Lücke…” Man sprach von “Rassenveredelung” und forderte die Tötung von “Ballastexistenzen”. Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, war der Boden für die nationalsozialistischen Rassenideologen also schon bestellt. Man konnte auf Bekanntes zurückgreifen, um Krieg und Massenmord zu rechtfertigen.
Ulrich Baringhorst, Stand vom 15.03.2010
Quelle:
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