Wie Forscher versuchen, im Labor den Ursprung des Lebens nachzuvollziehen
Der Ursprung des Lebens ist immer noch ein Rätsel. Laut einer neueren Theorie gab es vor den ersten lebenden Zellen einfache molekulare Netzwerke, die nach und nach komplexer wurden. Deutsche Forscher wollen diese Idee nun mit Laborexperimenten untermauern.
Uta Neubauer
Kann sich in einem Glaskolben mit heissem Wasser, in dem Aminosäuren schwimmen, ein Beefsteak bilden? Natürlich nicht – und doch hatte die «New York Times» genau diese Idee zur chemischen Fleischproduktion, als der Chemiker Stanley Miller vor fast 60 Jahren die Ursuppe samt Uratmosphäre im Labor simulierte und dabei Aminosäuren herstellte. Aneinandergereiht ergeben diese Moleküle zwar Proteine – neben Wasser der Hauptbestandteil von Steaks –, allerdings braucht man dafür weit mehr Aminosäuren, als sich in Millers Ursuppe fanden, und weit mehr Ordnung. Die Idee, dass Proteine oder RNA einst direkt aus kleinen Bausteinen in der Ursuppe entstanden, erscheint einigen Forschern hingegen nicht so absurd wie die Steak-Bildung. Britische Wissenschafter haben jetzt in der Fachzeitschrift «Nature» eine Folge chemischer Reaktionen vorgestellt, die auf der frühen Erde zur Bildung von RNA-Untereinheiten geführt haben könnte (siehe Kasten). Sie wollen damit belegen, dass Leben einst mit RNA begann. In der Fachwelt ist diese These allerdings umstritten. «Es ist schwer vorstellbar, dass sich derart komplexe Biomoleküle im Chaos der Ursuppe bildeten», sagt etwa der Chemiker Henry Strasdeit von der Universität Hohenheim in Stuttgart. Seine Arbeitsgruppe arbeitet daran, ein anderes Ursprungsszenario mit Laborexperimenten zu untermauern.
Vulkaninseln als Geburtsstätte
Vor zwei Jahren hat Robert Shapiro von der Universität New York eine Theorie beschrieben, laut der sich Leben nach und nach aus Netzwerken kleiner Moleküle entwickelte. Umgeben von einer schützenden Hülle, betrieben diese Netzwerke eine Art Stoffwechsel und vervielfältigten sich ohne Gene. Diesen Ansatz findet Strasdeit schlüssig: Das Leben müsse in vielen, vielen kleinen Schritten entstanden sein, von denen die meisten mit hoher Wahrscheinlichkeit passierten und die sich daher vermutlich im Labor nachvollziehen liessen.
Dass das Ausgangsmaterial – kleine organische Moleküle wie Aminosäuren – im Urozean vorhanden war, bestreitet heute kaum jemand mehr. Die Bausteine könnten teils auf der Erde entstanden, teils vom Himmel gefallen sein. In der frühen Phase des Sonnensystems hätten Kometen und andere Himmelskörper Aminosäuren huckepack auf die Erde gebracht, ist Uwe Meierhenrich von der Universität Nizza überzeugt. In dem vor 40 Jahren in Australien aufgeprallten Murchison-Meteoriten wurden zum Beispiel über 80 verschiedene Aminosäuren und andere einfache organische Moleküle gefunden. Dass diese nicht irdischen Ursprungs sind, gilt heute nach jahrelangen Untersuchungen als einigermassen gesichert. «Die 100 Kilogramm, die es von diesem Meteoriten gibt, sind vermutlich die am besten untersuchten 100 Kilogramm auf der ganzen Erde», sagt Meierhenrich. Er ist noch aus einem anderen Grund davon überzeugt, dass Aminosäuren aus dem Weltall stammen können: Im Labor hat er unter Weltraumbedingungen künstliche Kometen hergestellt und daran die Bildung von Aminosäuren nachgewiesen.
Dass es auf der frühen Erde einfache organische Moleküle gegeben hat, scheint also plausibel. Doch unter welchen Bedingungen entstand daraus Leben? Dazu gibt es verschiedene Szenarien: Einige Forscher konzentrieren sich zum Beispiel auf heisse Tiefsee-Quellen, andere auf polares Eis. Die Hohenheimer Wissenschafter hingegen favorisieren Vulkaninseln, an deren Küsten das Wasser des Urozeans zu einer aminosäurehaltigen Salzkruste verdampfte, die von der Hitze weiter versengt wurde. Die aufsteigenden Dämpfe kondensierten andernorts wieder, etwa in Vertiefungen auf abgekühlten Lavafeldern. Diese ersten Schritte haben Strasdeit und sein Team schon im Labor nachvollzogen. Aus verschiedenen Salzen mischten sie ein künstliches Meersalz, lösten es in Wasser und gaben Aminosäuren hinzu. Dieses Modell einer Ursuppe wurde eingedampft und die übrig gebliebene Salzkruste unter Ausschluss von Sauerstoff – den es in der Uratmosphäre noch nicht gab – auf Temperaturen von einigen hundert Grad erhitzt, wie sie in der Nähe eines Lavastroms herrschen. Die Dämpfe haben die Forscher aufgefangen, verflüssigt und untersucht.
Die Hightech-Analyse der kondensierten Dämpfe zeigte Erstaunliches: Die ins Meersalz eingebetteten Aminosäuren hatten sich trotz der hohen Temperatur nicht einfach zersetzt, sondern ringförmige Moleküle gebildet, sogenannte Pyrrole. Vier Pyrrolringe wiederum können sich in einer relativ einfachen chemischen Reaktion zu einem als Porphyrin bezeichneten Gerüst verknüpfen, was im Labor auch gelang. Damit wäre man auf dem Weg zum Leben ein gutes Stück vorangekommen, denn Porphyrine spielen in biologischen Zellen eine wichtige Rolle. Der Blattfarbstoff Chlorophyll und der Blutfarbstoff Häm zählen beispielsweise zu dieser Strukturklasse. Porphyrine übertragen Elektronen von einem Molekül auf ein anderes und treiben damit chemische Reaktionen an. Sie könnten die Entstehung des Lebens in Gang gebracht haben.
Eine schützende Hülle schafft Ordnung
Als Nächstes planen die Hohenheimer Wissenschafter nun aus ihrem chemischen Inventar – aus den Aminosäuren, den Pyrrolen und den Porphyrinen in der Meersalz-Lösung – eine Art Zelle zu bauen. Sie wollen das lose Netzwerk dieser Moleküle mit einer Hülle umgeben, denn für die Entstehung von Leben ist ein solches Kompartiment laut Shapiro entscheidend. In seinem Innern ordnet sich das Chaos der Urbrühe: Hier kommen sich Stoffe nahe genug, um miteinander zu reagieren, sich zu reproduzieren und neue Substanzen zu bilden. Die Hülle darf das System allerdings nicht komplett von der Umgebung abschotten, sondern muss bestimmte Stoffe durchlassen, wie die Membran einer lebenden Zelle.
Doch woraus könnte der Vorläufer dieser Zellmembran bestanden haben? Ein möglicher Kandidat sind Fettsäuren – Kettenmoleküle, die an einem Ende wasserabweisend und am anderen wasserliebend sind. In Wasser formen sie ganz von alleine winzige, nur unter dem Mikroskop sichtbare Bläschen, auch Vesikel genannt. Da Fettsäuren sehr wahrscheinlich in der Ursuppe vorhanden waren und auch im Murchison-Meteoriten nachgewiesen wurden, sind sie bei Ursprungs-Forschern äusserst beliebt. Strasdeit ist dennoch skeptisch: Er fürchtet, dass die Vesikel zu leicht auseinanderbrechen. Fraglich ist ausserdem, ob es in der Ursuppe genügend Fettsäuren gab – für die Bläschenbildung braucht man eine relativ hohe Konzentration. Untersuchen werden die Hohenheimer Wissenschafter neben den Fettsäuren daher auch Umhüllungen aus anderen Molekülsorten sowie Tropfen-in-Tropfen-Systeme. Das sind in Wasser emulgierte Öltröpfchen, die wiederum Wassertröpfchen enthalten. Es sind aber noch viele andere Kompartimente denkbar, von Gebilden mit Membranen aus Eisensulfid bis zu Zwischenräumen in Mineralien.
Bald wird sich zeigen, welche Hüllen besonders gut geeignet sind. Und die nächsten Schritte hat der Vordenker Shapiro schon skizziert: Innerhalb der Hüllen wachsen die molekularen Netzwerke, die Kompartimente werden grösser und grösser, teilen sich irgendwann und entwickeln sich auf verschiedenen Wegen weiter – und zwar gemäss Darwins Evolutionstheorie. Es «überlebt» dasjenige Netzwerk, dessen chemische Reaktionen durch die Umweltbedingungen begünstigt und so am Laufen gehalten werden. Im Zuge dieser chemischen Evolution entstehen in den Zellvorläufern irgendwann die ersten Nukleotide, die Bausteine der Erbsubstanz RNA und DNA. Shapiro nimmt an, dass sie im molekularen Netzwerk zunächst als Katalysator oder als Energiespeicher dienten, so wie es das Nukleotid ATP heute noch tut. Schliesslich könnten sich die Nukleotide zum Erbmolekül RNA zusammengefügt haben, aus dem sich später die DNA entwickelte. Etwa gleichzeitig mögen sich Aminosäuren zu Proteinen aneinandergereiht haben. Damit wäre die Zelle zum Leben erwacht.
Vielleicht verlief die Entstehung der ersten RNA aber auch anders. Uwe Meierhenrich hat in seinen künstlichen Kometen und im Innersten des Murchison-Meteoriten neben einfachen Aminosäuren nämlich auch Diaminosäuren entdeckt, die zwei Aminogruppen enthalten. Sie sind in irdischen Lebewesen zwar nicht geläufig, könnten laut dem Forscher aber «der Schlüssel zum Verständnis des ersten genetischen Materials auf der Erde» sein. Diaminosäuren verknüpfen sich nämlich über Peptid-Bindungen zu einer Kette, die als chemisches Baugerüst für die RNA gedient haben könnte. Auch die jüngst in «Nature» vorgestellten Ergebnisse stehen nicht unbedingt in Konkurrenz zur Netzwerkidee. Sie bereichern diese sogar, denn sie zeigen eine weitere Alternative, wie sich RNA-Untereinheiten aus einfachen Vorläufermolekülen bilden können.
Welchen Weg die chemische Evolution gegangen ist, kann bis jetzt niemand sagen. Und auch eine andere Frage steht noch im Raum, nämlich ob die ersten lebenden Zellen überhaupt auf der Erde entstanden. Als alternative Geburtsstätte bietet sich vor allem der Mars an, denn dort herrschten einst ähnliche Bedingungen wie auf der Urerde. «Primitive Mikroorganismen oder Sporen von Bakterien und Pilzen könnten durchaus vom Mars auf die Erde gelangt sein», erklärt Marcel Egli, der Leiter der Gruppe Weltraumbiologie an der ETH Zürich. Tief eingeschlossen in Gestein können die Einzeller sogar die kosmische Strahlung und die Hitze beim Eintritt in die Erdatmosphäre überleben, das haben Experimente gezeigt. Noch hat man solche Lebensspuren aber nicht gefunden, weder auf dem Mars noch in auf der Erde eingeschlagenem Marsgestein. Ihre Entdeckung wäre eine Sensation. Die Theorie von Strasdeit würde darunter aber nicht leiden. Vulkane, Salzablagerungen und Hinweise auf flüssiges Wasser wurden auf dem roten Planeten schon entdeckt. Das Vulkaninsel-Szenario könnte sich also auch dort abgespielt haben.
Forscher basteln RNA im Labor
U. Ne. Wissenschaftern um John Sutherland von der Universität Manchester ist es gelungen, RNA-Untereinheiten im Labor herzustellen – und zwar aus einfachen Substanzen, die auf der Urerde vorhanden waren. Damit verleihen die Forscher der umstrittenen Theorie Aufwind, dass RNA-Moleküle der Vorläufer irdischen Lebens waren.
Der Aufbau der RNA ähnelt stark jenem der Erbsubstanz DNA. Sie besteht aus Phosphaten, Zuckermolekülen namens Ribose sowie den Nukleobasen Uracil, Cytosin, Adenin und Guanin. Je eine Base, eine Ribose und ein Phosphat verbinden sich zu einem Nukleotid. Die Nukleotide wiederum verknüpfen sich zu langen RNA-Strängen. Bisher konnte niemand erklären, wie sich Nukleotide unter präbiotischen Bedingungen bilden, denn rein chemisch gelingt die Verknüpfung zwischen den Nukleobasen und den Ribosen nicht.
Dieses Problem umgehen die britischen Forscher mit einem Reaktionsschema, das in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift «Nature» vorgestellt wird.¹ Statt Ribosen und Basen getrennt herzustellen und anschliessend zu verbinden, starten sie mit einem einfachen Molekül, das dieses Bindungsglied schon enthält. Dieses Molekül, ein 2-Aminooxazol, dient als Gerüst, an das weitere Molekülgruppen andocken, bis ein komplettes Nukleotid entsteht. Damit ist die Bildung von RNA aus einfachen Vorläufermolekülen zumindest chemisch nicht mehr ausgeschlossen. Laut Sutherland stecken in dem jetzt vorgestellten Reaktionsablauf zwölf Jahre Forschung. Damit haben die Wissenschafter ihr Ziel aber noch nicht erreicht, denn nachvollzogen haben sie erst die Bildung jener Nukleotide, die die Basen Uracil und Cytosin enthalten. Als Nächstes wollen sie die Adenin- und Guanin-haltigen Nukleotide herstellen.
Die Verfechter einer frühen RNA-Welt feiern Sutherlands Ergebnisse als Durchbruch, andere Forscher hingegen zeigen sich weniger beeindruckt. Der New Yorker Chemiker Robert Shapiro etwa kommentierte in einer Meldung auf der «Nature»-Homepage, dass sich solche Experimente, die in einem modernen Labor unter der Kontrolle von Forschern ablaufen, wohl kaum auf die frühe Erde übertragen liessen. Kritisiert wird vor allem, dass Sutherland und seine Kollegen mit relativ hohen Konzentrationen arbeiten. Zu klären wäre daher noch, wie und wo sich die Ausgangssubstanzen auf der frühen Erde anreicherten. Ausserdem seien einige der verwendeten Substanzen in der Ursuppe vermutlich schnell durch andere Chemikalien zerstört worden oder hätten in andere Richtungen reagieren können.
Uta Neubauer
20. Mai 2009, Neue Zürcher Zeitung
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