Teil 1: Überblick und tetrapodenartige Fische des Oberdevons
Teil 2: Ichthyostega, Acanthostega und andere Tetrapoden des höheren Oberdevons
Teil 3: Tetrapoden des Unterkarbons, unklare Selektionsdrücke und evolutionstheoretische Probleme
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Zusammenfassung: Die Eroberung des Landes ist ein Meilenstein in der Geschichte der Wirbeltiere. Bis vor kurzem galt die Abfolge von einem Quastenflosser wie Eusthenopteron zum „ersten Vierbeiner“ (Tetrapoden) Ichthyostega als der Weg, auf dem dieser Übergang beschritten wurde (Abb. 1; vgl. Kasten S. 4). Zwischen beiden Formen besteht eine erhebliche morphologische Kluft. Neue Fossilfunde tetrapodenähnlicher Fische, vor allem Panderichthys, scheinen diesen Sprung zu verkleinern. Panderichthys ist jedoch ausschließlich wasserlebend und paßt als Vorläufer von Tetrapoden in manchen Merkmalen weniger als Eusthenopteron. Die ältesten Fossilfunde, die den Tetrapoden zugerechnet werden, sind zudem älter als Panderichthys. Im Kopfbereich weisen diese mutmaßlichen Tetrapoden-Frühformen erstaunliche Spezialisierungen auf, deren Vorgeschichte fossil nicht dokumentiert ist. Über die Herkunft der ersten Tetrapoden geben diese ältesten Fossilformen daher wenig Aufschluß. |
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Einleitung und Überblick
Der Schritt vom Wasser ans Land gehört wohl zu den bekanntesten Beispielen für mutmaßliche evolutionäre Übergänge. Evolutionär gesehen muß dieser Schritt vielfach erfolgt sein, bei Pflanzen, bei wirbellosen Tieren wie z. B. den Gliederfüßern und bei den Wirbeltieren (Tiere mit Innenskelett und einer Wirbelsäule). Bei den Wirbeltieren ist der Schritt an Land vereinfacht als Übergang vom Fisch zum Amphib bekannt. Jedem, der sich ein wenig in Evolutionsbiologie auskennt, dürfte das „Paar“ Eusthenopteron („Noch-Fisch“) – Ichthyostega („Bereits-Amphib“, „Uramphib“) als Standard-Lehrbuchbeispiel begegnet sein (vgl. Abb. 1). Tetrapoden. Die landlebenden Wirbeltiere werden als Tetrapoden (= Vierbeiner) bezeichnet. Die vier Extremitäten (Gliedmaßen) weisen einen charakteristischen Skelettbau auf: Mit dem Schultergürtel ist der Oberarm- bzw. Oberschenkelknochen (Humerus bzw. Femur) gelenkig verbunden, dann folgen ein Knochenpaar (Ulna und Radius bzw. Tibia und Fibula) sowie Hand- bzw. Fußwurzelknochen und Finger- bzw. Zehenknochen (Phalangen) (Abb. 2).1 Evolutionstheoretisch werden die Tetrapoden von Knochenfischen abgeleitet, und zwar von der ab dem Devon überlieferten Untergruppe der Fleischflosser (Sarcopterygier) (s. u.). Der Übergang von Fischen zu Vierbeinern soll nach derzeitigem Kenntnisstand im Oberdevon und Unterkarbon erfolgt sein.
Umbauten. Bei einem Übergang von Fischen zu Vierbeinern müssen tiefgreifende Veränderungen erfolgt sein (Abb. 3; vgl. CLACK 2002a, 35; CARROLL 1993, 174ff.): Betroffen sind u. a. das Tragen des Körpers (die Kräfteverhältnisse sind auf dem Land ganz anders als im Wasser; mit Folgen für die Wirbelsäule und die Extremitäten), die Fortbewegungsweise (Extremitäten mit neuer Funktion: die Fortbewegung steht statt der Steuerung im Vordergrund), die Ausbildung eines Halses zur besseren Beweglichkeit des Kopfes (mit Folgen für Schultergürtel, Verbindung Kopf-Wirbelsäule, Muskulatur), der Bau des Schädels (der Kopf muß stabil sein; im Wasser sind dagegen gelenkige Verbindungen von Schädelteilen wichtig für Kiemenatmung), Nahrungsaufnahme, Atmung, Wasserhaushalt, Sinnesorgane (z. B. Schallübertragung; Augen: anderer Brechungsindex) und Fortpflanzung. Evolutionstheoretisch kann ein solcher Vorgang nur schrittweise erfolgen. Dabei muß bedacht werden, daß die einzelnen Organsysteme und Fähigkeiten mehr oder weniger stark miteinander zusammenhängen (vgl. CLACK 2002a, 190). Evolutionstheoretische Fragen. Die Bedeutung dieses Übergangs für die Evolutionsforschung ist offenkundig: Es sind für diesen Schritt makroevolutive Veränderungen erforderlich. Es stellen sich folgende Fragen:
Erste kurze Antworten im Überblick. Bei grober Betrachtung kann man einige Fragen teilweise bejahen. Man kann die Übergänge teilweise in Teilschritte unterteilen; für einzelne Merkmale gibt es verschiedene Ausprägungen, die in Übergangsserien gestellt werden können, und in der Schichtenfolge aufsteigend nehmen tetrapodenartige Merkmale unter den maßgeblichen Fossilien zu. Im Detail betrachtet treten jedoch zahlreiche Unstimmigkeiten auf. Übergänge erfolgen in vielen Organsystemen recht abrupt und die stratigraphischen Abfolgen entsprechen den mutmaßlichen evolutionären nur teilweise. Ziemlich unklar sind die Selektionsdrücke, die zu den Landanpassungen geführt haben könnten. Diese Probleme sollen in diesem dreiteiligen Artikel erläutert und erörtert werden; möglicherweise können sie als Hinweise für eine nicht-evolutionäre Deutung verwendet werden. Diese Alternative könnte darin bestehen, daß die Fossilabfolgen des Devons eine ökologische Sukzession oder ökologische Zonierung widerspiegeln. Um diese Möglichkeit zu untermauern, müssen geologische Befunde herangezogen werden; es sollte z. B. gezeigt werden, daß die relevanten devonischen Schichten schnell abgelagert wurden oder sein könnten.
Stratigraphischer Überblick. Der Übergang von Fischen zu Vierbeinern soll im Oberdevon begonnen haben und im Unterkarbon vollendet worden sein. Abb. 4 gibt einen stratigraphischen Überblick über die für diesen Übergang maßgeblichen Fossilformen des Mittel- und Oberdevons. Neben den gut erhaltenen Gattungen Eusthenopteron, Panderichthys, Ichthyostega und Acanthostega wurde eine Reihe von Fossilien gefunden, die nur sehr bruchstückhaft überliefert sind. Ihre Zuordnung zu den Tetrapoden erfolgt anhand indirekter anatomischer Hinweise (Kiefermerkmale oder Merkmale des Schultergürtels oder des Humerus) und ist daher mit Unsicherheiten behaftet; der Bau der Extremitäten ist bei diesen Formen unbekannt. Einige Gattungen wurden erst in den letzten 20 Jahren entdeckt. Aufgrund des Baus des Schädels und der Extremitäten kommen Fleischflosser aus der Gruppe der Osteolepiformes am ehesten als Vorfahren für die Tetrapoden in Frage. Fleischflosser, zu denen Quastenflosser wie die berühmte Latimeria gehören, sind Fische mit kräftigen, „fleischigen“ Flossen, deren Skelettbau dem der Vierfüßer angenähert ist (vgl. Abb. 1, 8). Latimeria-ähnliche Quastenflosser scheiden aber als direkter Vorfahre der Tetrapoden wegen vieler unpassender Merkmale aus. Als dafür am besten passende Gattungen gelten schon länger Eusthenopteron (Abb. 1) und Panderichthys (Abb. 7). Biogeographie. Die oberdevonischen Tetrapoden-Funde stammen aus Grönland, Litauen, Westrussland, Schottland, Nordamerika und Australien. Im Devon lagen diese Gebiete zwar erheblich näher beieinander als heute; dennoch ist die biogeographische Verbreitung beträchtlich und einer der Gründe, weshalb seit einigen Jahren auch eine mehrfache unabhängige Entstehung der Tetrapoden diskutiert wird.
Neue Entwicklungen. Lange Zeit galt Ichthyostega aus dem Oberdevon als erster Vierbeiner und zugleich als erstes amphibisch lebendes Landwirbeltier. Der Übergang zum Vierbeiner wurde mit dem Übergang zum (teilweisen) Landleben gleichgesetzt. Der Sprung von Eusthenopteron zu Ichthyostega (Abb. 1) war erheblich. Durch die neuen Funde der letzten 20 Jahre hat sich an diesem Bild einiges geändert.
„Romers Lücke“. Nach dem Oberdevon folgt eine markante Überlieferungslücke von ca. 20 Millionen Jahren in der Fossildokumentation der Tetrapoden, die nach dem berühmten Wirbeltierpaläontologen Alfred S. ROMER als „Romer’s gap“ (Romers Lücke) bezeichnet wird. Erst im Jahr 2002 wurde die Gattung Pederpes als erstes gut erhaltenes Fossil beschrieben, das in diese Lücke fällt (CLACK 2002b). Von der Merkmalskombination paßt dieses Fossil nur teilweise in evolutionstheoretische Vorstellungen. Ab dem Viséum (mittleres Unterkarbon) ist dann schlagartig eine enorme Vielfalt an Tetrapoden fossil überliefert, darunter auch ausgesprochen abgeleitete Formen wie die Aïstopoda (Abb. 6). Die Vielfalt der Merkmalskombinationen erlaubt keine stammesgeschichtlichen Rekonstruktionen. Ebenso ist der Anschluß der oberdevonischen Formen an die unterkarbonischen unklar.
Im Folgenden sollen die oberdevonischen Fossilfunde vorgestellt und ihre Bedeutung für den Übergang Fisch – Vierbeiner diskutiert werden (s. Abb. 4). Demnach folgt auf Eusthenopteron der tetrapodenähnlichste Fisch Panderichthys und die ähnliche, aber nicht so gut erhaltene Gattung Elpistostege. Im Frasnium (unteres Oberdevon) sind Elginerpeton und Obruchevichthys überliefert, die als älteste Tetrapoden gelten. Allerdings weisen diese Gattungen einige deutlich spezialisierte Merkmale auf und werden deshalb auf einen blind endenden Seitenzweig gestellt. Eine interessante Gattung aus dieser Zeit ist außerdem Livoniana. Aus dem Famennium (oberes Oberdevon) wurden acht weitere Tetrapoden-Gattungen beschrieben: die bekannteren und gut erhaltenen Ichthyostega und Acanthostega sowie die nur bruchstückhaft überlieferten Gattungen Ventastega, Hynerpeton, Tulerpeton, Densignathus, Metaxygnathus und Sinostega. Danach reißt die Fossilüberlieferung mit der oben erwähnten „Romerschen Lücke“ („Romer’s gap“) ab. |
Tetrapodenähnliche Fische
Panderichthys (Abb. 7). Diese Gattung gilt als tetrapodenähnlichster Fisch, der den Vierbeinern in einigeN Merkmalen näher steht als Eusthenopteron (Abb. 1, 7) und in dieser Hinsicht die Kluft zwischen Fischen und Vierbeinern verkürzt. Allerdings weist dieser Fisch auch Merkmale auf, die ihn entfernter von den Tetrapoden als Eusthenopteron stellen (s. u.). Panderichthys war über 1 m lang und hatte einen ca. 30 cm langen Schädel; der Schädel war abgeflacht und die Schnauze ziemlich ausgezogen; die Augen lagen ziemlich nahe beieinander und relativ weit hinten. Das Schädeldach war stabiler als bei anderen Fisch-Gattungen. Damit erweckt der Schädel einen tetrapodenartigen Eindruck (CLACK 2002a, 64; JANVIER 1996, 270). Daneben gibt es aber auch einzigartige Merkmale im Schädel, und insgesamt ist die Ähnlichkeit des Schädels mit Eusthenopteron ziemlich groß (AHLBERG et al. 1996, 61). Dem Kiefer fehlen eindeutige Tetrapoden-Merkmale; er ist im wesentlichen Osteolepiformentypisch (AHLBERG & CLACK 1998, 13). Der Hirnschädel weist – anders als das Schädeldach – keines der abgeleiteten Merkmale der oberdevonischen Tetrapoden auf, sondern ist mit dem von Eusthenopteron fast identisch und besitzt ein fischtypisches intrakraniales Gelenk; im Vergleich zum frühen Tetrapoden Acanthostega gibt es tiefgehende Unterschiede (AHLBERG et al. 1996, 61). Auffallend ist das Fehlen von Dorsal- und Analflosse. Diese Flossen sind abrupt spurlos verschwunden. Die paarigen Flossen (Abb. 7, 8) zeigen keine charakteristischen Merkmale von Landwirbeltieren (CARROLL 1996, 19). Die Skelettelemente der Flossen sind breit und abgeflacht; eine Besonderheit ist die Verschmelzung der distalen (körperfernen) Elemente in der Brustflosse zu einer Platte (WOROBJEWA 1974/75, 315; CLACK 2002a, 43). Die Flossen von Panderichthys sind also weniger tetrapodenähnlich als die von Eusthenopteron (CLACK 2002a, 159; JANVIER 1996, 270). Der Trend geht also in die entgegengesetzte Richtung statt hin zur Ausprägung Richtung Tetrapoden (JANVIER 1996, 270).2 Der Humerus weist dagegen einige tetrapodenartige Merkmale auf und ist fast perfekt intermediär zwischen Eusthenopteron und Acanthostega. Insgesamt aber erscheint die Extremität als Mosaikform, die nicht in eine Übergangsstellung zwischen Eusthenopteron und Acanthostega paßt. Die verlängerte Schwanzflosse wiederum gleicht dem Schwanz der frühen Tetrapoden Ichthyostega und Acanthostega (CLACK 2002a, 160). Diese beiden Gattungen waren nach heutiger Kenntnis aber hauptsächlich oder sogar ausschließlich wasserlebend, so daß die Tetrapodenähnlichkeit des Schwanzes von Panderichthys evolutionär in Bezug auf den Übergang ans Land wenig aussagekräftig ist. Die Wirbel der Panderichthyiden sind schwach (VOROBYEVA & SCHULTZE 1991, 91), ihre Konstruktion ist nach AHLBERG & MILNER (1994, 508) einzigartig, was sie aus der Stammlinie der Tetrapoden ausschließe.
Evolutionstheoretische Bewertung. Insgesamt weist Panderichthys ein Merkmalmosaik auf, das eine widerspruchsfreie Einordnung in eine evolutionäre Abfolge Eusthenopteron – Panderichthys – frühe Tetrapoden in mehrfacher Hinsicht nicht erlaubt. Sowohl im Bau des Hirnschädels als auch im Bau der Extremitäten ist in dieser Abfolge eine plötzliche, nicht-evolutionäre Änderung zu verzeichnen (AHLBERG et al. 1996, 63; vgl. CARROLL 1996). In der Hirnschädel-Konstruktion gibt es seit dem Ursprung der Fleischflosser bis zu Panderichthys keine signifikante Änderung trotz erheblicher Variation in der Schädelform. Bei Acanthostega ist die Konstruktion dann sprunghaft verändert; die neue Hirnschädel-Morphologie bleibt dann wieder unverändert bis zu den karbonischen Formen (AHLBERG et al. 1996, 63). VOROBYEVA & SCHULTZE (1991,84) halten die Panderichthyiden für so verschieden von Osteolepiformes und Tetrapoden, daß sie eine eigene Ordnung für diese Gruppe für gerechtfertigt halten. Wir haben also die oft anzutreffende Situation, daß einzelne Merkmale wohl in eine Übergangsstellung passen – hier zwischen den Osteolepiformes und den frühesten Tetrapoden –, andere dagegen einer solchen Position widersprechen. Und in einigen Merkmalskomplexen gibt es einen deutlichen Sprung zwischen Panderichthys und möglichen evolutionären Nachfahren. Zudem paßt die stratigraphische Position von Panderichthys nicht zu einer Übergangsstellung dieser Gattung, da er in älteren Schichten als Eusthenopteron gefunden wurde (CLACK 2002a, 48; vgl. Abb. 4). Elpistostege. Diese Gattung wurde an der gleichen Lokalität in Kanada wie Eusthenopteron gefunden. Zusammen mit Panderichthys wird sie zu den Elpistostegalia gestellt (vgl. AHLBERG et al. 2000, 533). Von dieser Gattung sind nur Schädelfragmente und Wirbel gefunden worden. Aufgrund der Schädelmerkmale wird Elpistostege von AHLBERG et al. (2000, 542) als noch tetrapodenähnlicher eingestuft als Panderichthys, doch sind diese Befunde aufgrund der fragmentarischen Erhaltung wenig aussagekräftig. Auch diese Gattung paßt stratigraphisch nicht gut in den Übergangsbereich zu den Tetrapoden. |
Die ersten mutmaßlichen Tetrapoden aus dem Frasnium
Als älteste Tetrapoden werden die beiden recht ähnlichen Gattungen Elginerpeton (Abb. 9) aus Schottland und Obruchevichthys aus Litauen und Westrussland klassifiziert. Die beiden Gattungen sind in Schichten des Frasniums (unteres Oberdevon; vgl. Abb. 4) gefunden wurden, die 5-8 Millionen Jahre älter als Ichthyostega eingestuft werden. Allerdings gibt es für die Einstufung als Vierbeiner nur indirekte Hinweise, denn das entscheidende Merkmal, der Bau der Extremitäten, ist zum großen Teil unbekannt. Von Elginerpeton sind Teile des Ober- und Unterkiefers sowie einige Extremitäten- und Gürtelelemente (Oberschenkelknochen, Schienbein, Schulter- und Beckengürtelteile; evtl. ein Oberarmknochen) bekannt, wobei die Zuordnung der postkraniellen Elemente nicht ganz gesichert ist (AHLBERG 1995, 423). Mit einer Schädellänge von ca. 40 cm handelte es sich um ein relativ großes Tier (deutlich größer als Panderichthys und doppelt so groß wie Ichthyostega). Der Kopf war flach, die Schnauze recht spitz und ziemlich unähnlich sowohl zu Panderichthyiden als auch zu den oberdevonischen Tetrapoden (CARROLL 1995, 389). Der schlanke Unterkiefer weist einige einzigartige abgeleitete Merkmale im Vergleich zu allen oberdevonischen Tetrapoden auf; darüber hinaus besitzt er aber auch fischtypische Merkmale (AHLBERG 1995, 420, 422; CARROLL 1995, 389). Schulter- und Beckengürtel sowie die erhaltenen Teile der Extremitäten sind teilweise fischtypisch, ähneln aber teilweise auch den Tetrapoden Ichthyostega oder Acanthostega oder weisen intermediäre Ausprägungen zwischen Panderichthys und Acanthostega auf (so die Form des Oberarmknochens). Die schwach ausgebildete postbranchiale Lamina (blattartige Knochenfläche) am Cleithrum (Bestandteil des Schultergürtels) von Elginerpeton ist sogar abgeleiteter als bei Acanthostega (die Lamina ist wichtig für die Kiemenatmung). Andere Merkmale wie der sehr kleine und ausgeprägt konvexe Kopf des Humerus sind einzigartig ausgebildet (AHLBERG1998, 130); insgesamt ergibt sich eine schwer einzuordnende Merkmalskombination. Der Oberschenkelknochen ist sehr kurz und abgeflacht und kaum in der Lage, Gewicht zu tragen, sondern eher als Paddel geeignet. Dagegen ist das zum Becken gehörende Darmbein sehr kräftig und würde zu einer Fortbewegung auf Land passen (CLACK 2002a, 91). Die einzelnen Merkmale erscheinen hier widersprüchlich. Trotz mancher Merkmale, die zu einem Leben an Land passen würden, ist aufs Ganze gesehen ein Leben im Wasser als großes Raubtier wahrscheinlich (AHLBERG 1998, 135). Dazu paßt auch die Tatsache, daß Elginerpeton zusammen mit typischen devonischen Fischen abgelagert wurde (CLACK 2002a, 91). Die Merkmale von Elginerpeton liegen bei weitem nicht alle in einem Übergangsbereich, sondern es handelt sich um eine Mischung aus abgeleiteten, primitiven und einzigartigen (Kopfmorphologie, Hinterbeine) Merkmalen. Von Obruchevichthys sind nur Teile des Unterkiefers bekannt, die in der Form und der Größe Elginerpeton ähneln. Die Gattung wird den Vierbeinern zugeordnet, weil einige Unterkiefermerkmale als tetrapodentypisch gelten (CLACK 2002a, 91). Evolutionäre Betrachtungen. Trotz mancher Ähnlichkeiten in Einzelmerkmalen können die Elginerpetontiden aufgrund ihres besonderen Merkmalsmosaiks nicht näher mit anderen oberdevonischen oder unterkarbonischen Tetrapoden verwandt sein (CARROLL 1995, 389). Aufgrund der „einzigartigen, abgeleiteten Kopf-Morphologie“ (AHLBERG 1995, 420) stehen sie deutlich abseits der (evolutionär anzunehmenden) Tetrapoden-Stammlinie; möglicherweise bedingt durch eine spezielle (nicht genau bekannte) Lebensweise (AHLBERG1995, 424). CLACK (2002a, 96) spricht von einem frühen spezialisierten Seitenzweig (vgl. CARROLL 1995, 389). Offenbar treten relativ unvermittelt in einer beachtlichen Vielfalt verschiedene Formen auf, die eine zeitlich ausgedehnte, jedoch unbekannte evolutionäre Vorgeschichte erfordern (vgl. AHLBERG 1995, 420). Für manche Forscher ist damit die Suche nach tetrapodenartigen Formen in älteren Schichtfolgen (Mitteldevon) motiviert. Die funktionell unverstandene Kombination von Land- und Wasseranpassungen bei der Hinterextremität wird von AHLBERG (1991, 301) als Hinweis gewertet, daß tetrapodenartige Extremitäten im Wasser evolutiv entstanden und daß sie folglich im Wasser eine passende Funktion ausüben konnten. Diese Deutung erhält durch die eigenartige Merkmalskombination von Acanthostega erheblichen Auftrieb. Acanthostega gilt heute fast definitiv als ausschließlich wasserlebender Vierbeiner. Daher gilt der Besitz von vier Beinen für sich alleine nicht mehr als ausreichendes Indiz für ein (teilweises) Leben an Land. Für die Frage nach der Eroberung des Landes spielt dies eine erhebliche Rolle. Wir werden bei der Besprechung von Acanthostega im zweiten Teil darauf zurückkommen. Livoniana (Abb. 10). Diese Gattung wurde erst im Jahr 2000 beschrieben (AHLBERG et al. 2000). Sie stammt aus dem späten Givetium (oberes Mitteldevon) Litauens und Estlands, tritt also stratigraphisch sehr früh auf. Bisher sind von dieser neuen Gattung aber nur zwei Fragmente des Unterkiefer-Vorderendes bekannt, das mit mehreren (bis zu 5) Reihen kleiner, abgerundeter Zähne besetzt ist Dieses einzigartige Merkmal kommt bei keinem anderen tetrapodenartigen Tier vor. Die Kiefer weisen aber auch Merkmale auf, die sonst nur bei Arten bekannt sind, die den Tetrapoden nahestehen. Livoniana ist in dieser Hinsicht abgeleiteter als Panderichthys, jedoch primitiver als alle bekannten devonischen Tetrapoden (AHLBERG et al. 2000, 534).
Aufgrund der ungewöhnlichen Bezahnung kann Livoniana keine Übergangsform zu späteren Tetrapoden sein. Gegen diese Deutung spricht auch die frühe stratigraphische Position. Livoniana ist sehr verschieden von Elginerpeton; AHLBERG et al. (2000, 544) bezeichnen diese beiden Gattungen als „kurzlebige Experimente“, die darauf hinweisen, daß der Übergang von Fischen zu Tetrapoden sich nicht als geradliniger Fortschritt darstelle, sondern ein großes Ausmaß an morphologischer Vielfalt beinhalte (vgl. CLACK 2002a, 64). Kurze Bewertung der Tetrapoden des Frasniums. Die Tetrapoden des Frasniums weisen eine erhebliche Vielfalt auf. Im Vergleich zu den späteren oberdevonischen Tetrapoden zeigen sie sogar eine größere Differenzierung der Gebisse (CLACK 2002a, 137). Die einzelnen Gattungen weisen Merkmalskombinationen auf, die in ihrer Gesamtheit nicht in einen Übergangsbereich Fisch-Tetrapoden passen. Vielmehr erweisen sie sich durch den Besitz auffallender spezieller Merkmale als deutlich spezialisiert und werden deshalb auf Seitenzweige gestellt. Eine offenkundige Linie von Fischen zu Tetrapoden läßt sich unter den Tetrapoden des Frasniums nicht ausmachen. Diese Formen überlebten die Grenze zum Famennium (oberes Oberdevon; vgl. Abb. 4) offenbar nicht; die stratigraphisch nachfolgenden Tetrapoden lassen sich nicht ohne Weiteres an die frasnischen stammesgeschichtlich anschließen.
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Zwischenergebnis und Ausblick
Die Fossilien des unteren Oberdevons (Frasnium bzw. Frasne, vgl. Abb. 4) weisen in einzelnen Merkmalen intermediäre Ausprägungen zwischen typischen Fleischflossern und typischen Tetrapoden auf (z.B. Merkmale des Oberarmknochens; Bau der Wirbelsäule). Bei komplexeren Schlüsselmerkmalen wie dem Bau der Tetrapodenextremität oder dem Bau des Hirnschädels ist ein evolutiver Übergang fossil kaum belegt. Dies entspricht der Tatsache, daß ein funktioneller Übergang auch theoretisch schwer denkbar erscheint.
Die Abfolge der Formen in der Schichtenfolge paßt nur teilweise zur mutmaßlichen evolutionären Abfolge. So sind die Tetrapoden des Frasniums jünger als die Fische Eusthenopteron und Panderichthys, von deren Organisationsstufe die Tetrapoden abgeleitet werden. Panderichthys als tetrapodenähnlichster Fisch ist dagegen in älteren Schichten als der „tetrapodenentferntere“ Eusthenopteron. Die Tetrapodennatur der „ersten Tetrapoden“ Elginerpeton und Obruchevichthys ist zudem nich gesichert und nur indirekt erschlossen worden. Die ältesten Formen sind deutlich spezialisiert und könnten allenfalls auf einen Seitenast der Entwicklung zu Tetrapoden gestellt werden. In der zweiten Folge dieser Artikelserie sollen die viel besser erhaltenen „Kronzeugen“ für einen Übergang vom Wasser ans Land, Ichthyostega und Acanthostega vorgestellt und ihre Bedeutung für diesen Übergang diskutiert werden. Wahrscheinich stehen auch diese Formen auf nachkommenlosen Seitenästen. Im dritten Teil wird gezeigt, weshalb ein evolutionäres Szenario sowohl aufgrund der Merkmalskonstellationen der Devon-Tetrapoden als auch aufgrund der Selektionsproblematik unplausibel ist. |
Anmerkungen1 Sekundär können die Gliedmaßen allerdings ganz oder teilweise reduziert sein (z. B. Blindschleichen, die taxonomisch dennoch zu den „Vierbeinern“ gerechnet werden). Auch die Vögel werden in diesem Sinne als „Vierbeiner“ betrachtet, auch wenn die Vorderextremitäten als Flügel ausgebildet sind. 2 Das Extremitätenskelett der Tetrapoden könnte eher von einem langen Skelett wie bei den Lungenfischen als von einem Skelett wie bei Osteolepiformen und Panderichthyiden abgeleitet werden. „The dilemma is thus that which from other characters, appear to be more closely related to the tetrapods than the dipnomorphs. … At the moment, the question of the origin of the tetrapod limb is merely the question of whether the hand and foot are unique to tetrapods or have homologues in fishes, and it is unanswered“ (JANVIER 1996, 270). |
11. Jahrgang / Heft 1 – Mai 2004
Seite 3 – 10
Literatur
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QUELLE:
http://www.wort-und-wissen.de/index2.php?artikel=sij/sij111/sij111-1.html