Experiment Verwandschaft – Das Tier in Dir


Im Stammbaum des Lebens sind Einzeller ganz unten anzusiedeln, später setzen sich im evolutionären Optimierungsprozess Mehrzeller wie die Quallen durch. Dabei hilft ihnen das “Gerüstprotein” Kollagen, das heute im menschlichen Körper für stabile Knorpel, Sehnen und Bänder sorgt.

Der Mediziner Aart Gisolf, der Paläontologe Oliver Sandrock und Axel Wagner, Biologe und Wissenschaftsjournalist, präsentieren unsere tierische Vergangenheit in bisher ungesehenen Bildwelten. Sie machen sich auf eine abenteuerliche Spurensuche und begegnen jenen tierischen Verwandten, die in der Anatomie des menschlichen Körpers erhalten blieben: Fossilien und ihre seit Urzeiten unverändert noch heute lebenden Nachfahren. Mit Zeitreisen und Studio-Aktionen liefert „Experiment Verwandtschaft – Das Tier in Dir“ interessante Antworten auf die Frage, warum wir heute so aussehen, wie wir aussehen.

Einzeller in uns

Die ersten Lebensformen waren im Wasser lebende Einzeller. Vermutlich gehen die Mitochondrien, die Energielieferanten unserer Zellen, auf urtümliche Bakterien zurück. Ohne sie würden weder Muskel- noch Nervenzellen funktionieren. Auch der Embryo braucht die Energie der Mitochondrien für jede einzelne Zellteilung. Amöben, die Jagd auf Pantoffeltierchen machen, liefern einen Hinweis darauf, wie Mitochondrien ins Innere von anderen Zellen gelangt sein könnten.

Die Qualle im Knochen

Qualle | Bild: BR

Qualle

Quallen gehören mit zu den frühesten mehrzelligen Lebewesen. Bei ihnen tritt ein wahrer “Wunderstoff” erstmals in Erscheinung – das Kollagen. Im menschlichen Körper verleiht Kollagen den Knochen Biegsamkeit und erlaubt uns das Sehen mittels durchsichtiger Hornhaut.

Zeitreise ins Kambrium

Vor gut 500 Millionen Jahren ereignete sich die “Kambrische Explosion”. Damals entstanden die typischen Baupläne fast aller heute lebenden Tierarten – darunter auch solche mit einer Chorda, der Vorläuferin unserer Wirbelsäule. Bei den noch heute lebenden Lanzettfischchen lässt sich dieses Baupatent genauer untersuchen. Deutlich wird dabei auch, welche evolutionäre Bedeutung die Entwicklung der Muskulatur hatte.

Der Sprung an Land

Die Evolution im Lebensraum Meer schritt rasant voran. Um zu überleben brauchte es immer wieder neue Fähigkeiten. Nur dadurch wurde auch der Schritt an Land möglich.

Alles Leben, und damit auch der Mensch, kam einst aus dem Wasser. Unser Körper bewahrt zahlreiche Spuren dieser nassen Herkunft bis heute. Evolutionsbiologen zeigen, wie viel Fisch- und Amphibienerbe noch immer in jedem von uns steckt.

Der Mensch ist ein Wasserwesen, seine Wurzeln reichen hinab in die Urozeane der Erdgeschichte. Viele evolutionäre Bausteine dieser Fischvergangenheit finden sich bis heute im menschlichen Körper.

Der Embryo: Vom Fisch zum Menschen im Schnelldurchlauf

Vor allem zu Beginn seines Lebens ist der Homo sapiens noch immer ein Wasserwesen, das im Fruchtwasser schwimmt und im Blut eine Salz- und Mineralkonzentration aufweist, die der des Meerwassers ähnelt. Zahlreiche Spuren der nassen Herkunft, die unser Körper bewahrt, zeigt vor allem die weitere Embryonalentwicklung. Sie belegt unter anderem, dass sich unsere Lungen einst als Darmaussackungen von Wasserlebewesen entwickelten. Dieser entscheidende Evolutionsschritt fällt in das Ende des Devonzeitalters vor 420 Millionen Jahren, als sich neben den Ozeanen auch Flachwassergebiete bildeten. Durch Anpassung an die warmen, sauerstoffarmen Gewässer entstanden damals Arten, die als Assimilationsleistung atmende Lungen “erfanden”. Dieses Prinzip lässt sich am noch heute lebenden Lungenfisch beobachten. Seine Atmungsorgane, die sich aus Darmausstülpungen heraus formten, erlauben ihm, Luft von der Wasseroberfläche zu schöpfen. Solche Darmausstülpungen als Vorstufe zur Lungenbildung lassen sich auch beim menschlichen Embryo beobachten.

Reich mir die Flosse: Aus Gräten werden Knochen

Das Leben an Land verlangte indes nicht nur Lungen, sondern ebenso einen stabilen und dennoch beweglichen Körperbau. Daher erforderte die Entwicklung zu Landbewohnern einen Komplettumbau des Fischkörpers. Am “Schlammspringer”, einer amphibisch lebenden Gattung von Fischen, lässt sich nachvollziehen, welche evolutionären Merkmale für die allmähliche Eroberung des Landes bedeutend waren.

Jahrmillionen im Zeitraffertempo

Wie viel Fisch im Menschen steckt, verrät schließlich auch unsere Hand, die sich allmählich aus Fischextremitäten entwickelte. Zu dieser evolutionären Ahnenreihe gehört beispielsweise der Knochenfisch, der ein Skelett, eine Wirbelsäule, einen knöchernen Schädel und bereits einen Vorläufer unserer Greifwerkzeuge aufwies. Wenn der menschliche Embryo zuerst eine Art Flosse mit Schwimmhäuten bildet, bevor daraus schließlich eine Hand entsteht, durchläuft er Jahrmillionen dauernde Evolutionsschritte quasi im Zeitraffertempo. Weitere “Fischparallelen” ergeben sich darüber hinaus beim Vergleich von Haihirn und menschlichem Hirnstamm oder beim Aufbau und der Funktion unseres Innenohrs, das stark vom Fischerbe beeinflusst ist.

Zu den Spuren der Fischvergangenheit des Menschen gehören jedoch auch krankhafte Symptome wie beispielsweise die als Halsfisteln bezeichneten Fehlentwicklungen der Eingeweide des Halses. Diese angeborenen Vertiefungen im Halsbereich sind ein Rücksprung der Evolution und eine anatomische Erinnerung an die Kiemen unserer Fischverwandten.

Autor: Aart Gisolf, Oliver Sandrock und Axel Wagner

Quelle: BR.de

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