Evolutionsforschung – Natur ist stets im Wandel
Die Idee, dass die Natur nicht unveränderlich ist, sondern sich langsam weiterentwickelt, brauchte lange, um sich durchzusetzen. Besonders in den christlich geprägten Ländern der Welt gab es bis ins Mittelalter kaum Zweifel daran, dass Gott alle Pflanzen- und Tierarten geschaffen hat – und die Welt vollkommen ist. Die Geschichte der Evolutionsforschung ist dementsprechend nicht geradlinig, sondern sehr verwickelt verlaufen, da diese traditionelle Vorstellung erst mühsam überwunden werden musste.
Neue Welten – neue Lebewesen
Die Weltumsegelungen im 15. Jahrhundert brachten die Naturwissenschaften voran: Es wurden in den bislang unbekannten Ländern neue Pflanzen- und Tierarten entdeckt, was die Wissenschaftler dazu herausforderte, die wachsende Menge der Lebewesen zu klassifizieren. Allerdings verfassten erst im 16. Jahrhundert einige Naturforscher umfassende Werke über Kräuter, die sie darin genau beschrieben. Dabei tauchte die Frage auf, welches die jeweils wesentlichen Merkmale waren, nach denen die Pflanzen eingeordnet werden konnten. In den Kräuterbüchern gab es auch erste Ansätze einer Systematik, beispielsweise einer Ordnung nach Verwandtschaft. Bei Werken über Tiere spielte eine Einordnung zu dieser Zeit jedoch kaum eine Rolle: So wurden die Tiere in einer umfassenden Tierenzyklopädie aus dem Jahr 1551 alphabetisch dargestellt.
Eine der wichtigsten Arbeiten in der Pflanzen- und Tiersystematik verfasste der BriteJohn Ray Ende des 17. Jahrhunderts. In seinem Hauptwerk charakterisierte er als Erster eine Art als Vielzahl von Organismen, die sich ähneln, die aus gleichem Samen entstanden sind und sich in der Natur selbstständig fortpflanzen können. Für den Naturforscher Carl von Linné bildete Rays Werk die Grundlage; der Schwede bezeichnete Ray als den Begründer der Systematik in der Biologie.
Ein Ordnungssystem muss her
Die Bemühungen, die Organismen zu ordnen, ebneten zwar den Weg für den Evolutionsgedanken. Doch noch weit bis ins 18. Jahrhundert war das Weltbild von der Idee geprägt, dass die Erde vollkommen ist und nichts grundsätzlich Neues geschieht. Auch Carl von Linné (1707 bis 1778) vertrat den Gedanken der Artkonstanz und nicht den der Weiterentwicklung. Seine Klassifikation des Pflanzen- und Tiersystems war allerdings von so großer Bedeutung, dass sich die Biologen des 18. und 19. Jahrhunderts mit den darin auftauchenden Widersprüchen auseinandersetzen mussten.
Carl von Linné entwickelte ein einfaches, einheitliches Klassifikationssystem, indem er durchgehend die binominale Nomenklatur anwandte, das heißt, dass in diesem System alle Namen zweiteilig sein mussten. Danach setzt sich die Bezeichnung eines Lebewesens aus dem Namen der Gattung und einer Ergänzung (Epitheton) zusammen, die häufig ein Adjektiv ist und in Kombination mit der Gattung die Art charakterisiert. Jede solche Kombination aus Gattungsname und Epitheton darf nur einmal – also nur für eine Art – vergeben werden. Gattungsname und Epitheton sind in der Regel der lateinischen oder griechischen Sprache entnommen. Zum Beispiel: canis lupus – der Wolf; homo sapiens – der Mensch.
Nach Auffassung Linnés waren Gattungen und Arten von Gott geschaffene Einheiten in der Vielfalt der Lebewesen. Und eben diese Vorstellung warf Widersprüche auf: So standen sich die scheinbare Konstanz der Arten und die vielen Anzeichen, dass sich die Natur verändert, unvereinbar gegenüber.
Zweifel an der Unveränderlichkeit der Welt
Die Epoche von Linné bis Charles Darwin war geprägt vom Streit um die Deutung der wachsenden Anzahl neu entdeckter Arten – die Zweifel an der Artkonstanz wuchsen. Der Franzose Georges Louis Leclerc Comte de Buffon, ein Zeitgenosse Linnés, führte den Gedanken der Evolution, also der langsamen fortschreitenden Entwicklung, in die Wissenschaft ein. Einer seiner Schüler, Jean Baptiste de Lamarck, entwickelte eine Abstammungslehre, dessen Grundgedanke es war, dass die Lebewesen eine abgestufte Ähnlichkeit haben. Nach seiner Auffassung verursacht die Veränderung der Umwelt veränderte Bedürfnisse, und der Gebrauch oder Nichtgebrauch von Organen bewirkt langfristig eine Abänderung oder Rückbildung. Diese Evolutionstheorie Lamarcks beeinflusste das Denken seiner Zeit allerdings kaum.
Lebewesen passen sich den Umweltbedingungen an
Es war der Brite Charles Darwin (1809 bis 1892), der schließlich die Idee einer konstanten Welt grundlegend erschütterte. Bemerkenswert: Als er seine fünfjährige Forschungsreise mit der “Beagle” am 27. Dezember 1831 begann, glaubte er noch fest an die Konstanz der Arten. Die Beobachtungen zur Verbreitung von Tieren und Pflanzen, die er auf seiner Reise machte, brachten ihn jedoch später darauf, dass sich die Natur kontinuierlich weiterentwickelt. Dabei interessierte sichDarwin besonders dafür, wie Arten an ihren Lebensraum angepasst sind. Ab 1837 sammelte er Informationen bei Tierzüchtern, vor allem bei Taubenzüchtern, und Gärtnern über die Veränderung von Tieren und Pflanzen. Dabei wurde ihm klar, dass die Züchter günstige Varianten zur Weiterzucht auswählten, also beispielsweise besonders robuste, schnelle Tiere. Darwin sah in dieser künstlichen Auslese eine stark beschleunigte Form der natürlichen Auslese. Er erkannte die Bedeutung der Konkurrenz zwischen Individuen derselben Art und kam zu folgendem Schluss: Im Kampf ums Dasein können nur die Varianten überleben, die den Umweltbedingungen am besten angepasst sind. Die Entstehung neuer Arten erklärte Darwin damit, dass die Abweichungen vererbbar sein müssen, damit sie sich evolutionär sinnvoll auswirken können.
Einsatz für Darwins Theorie
Der bedeutendste deutsche Verfechter der Darwin’schen Evolutionstheorie war der Mediziner Ernst Haeckel (1834 bis 1919), dessen Denken sich durch Darwins Hauptwerk “Origin of Species” grundlegend änderte. Mit missionarischem Eifer setzte sich Haeckel für die Verbreitung der Evolutionstheorie ein und wollte, dass diese Gegenstand des Schulunterrichts wurde. Um dem Widerstand von fachlicher, theologischer und staatlicher Seite entgegenzuwirken, veröffentlichte der Mediziner einige allgemeinverständliche Werke zum Thema Evolution, die sehr erfolgreich waren – so zum Beispiel “Die Welträtsel”. Im Gegensatz zu Darwin bezog Haeckel auch den Menschen in die Evolution mit ein und propagierte die Abstammung des Menschen vom Affen. Er entwarf verschiedene Stammbäume des Pflanzen- und Tierreichs, darunter auch einen der Säugetiere – inklusive des Menschen. Dafür wurde er scharf kritisiert und verspottet. Sein “Biogenetisches Grundgesetz”, mit dessen Hilfe sich Teile der Stammesgeschichte durch Vergleiche der Embryonen und ihrer Vorstufen verschiedener Tierarten rekonstruieren lassen, wurde lange kontrovers diskutiert und gilt heute als veraltet.
Evolution und Genetik
Die Genetik war zu Darwins und auch Haeckels Zeiten ein noch weitgehend unerforschtes Gebiet. Erst Ernst Mayr (1904 bis 2005) brachte Darwins Konzept der Selektion mit den Erkenntnissen der modernen Genetik in Einklang und gilt als Begründer des modernen biologischen Artkonzeptes. So definiert Mayr auf der Grundlage seiner Forschung eine Art als “Gruppe von sich untereinander fortpflanzender Lebewesen, die reproduktiv von anderen solchen Gruppen isoliert sind”- das heißt, dass Lebewesen einer Art keine Nachkommen mit Lebewesen einer anderen Art zeugen können oder dass diese Nachkommen dann selbst nicht fruchtbar wären. Diese Isolation ist für ihn das Kriterium, zwei Arten zu unterscheiden. Heute ist der US-AmerikanerRichard Dawkins der radikalste Vertreter der Evolutionstheorie. Er vertritt die Ansicht, dass das Gen die zentrale Einheit der Selektion ist, das den Körper nur als “Vermehrungsmaschine” benutzt. Da sich Dawkins gegen christlich-fundamental motivierte Gegner der Evolutionstheorie einsetzt, trägt er den Spitznamen “Darwins Rottweiler”.
Alexandra Stober, Stand vom 14.12.2010
Sendung: Lebende Urtiere – Die Evolution verschlafen?, 14.12.2010
Quelle:
http://www.planet-wissen.de/natur_technik/forschungszweige/evolutionsforschung/index.jsp