Wann begann das Leben auf der Erde? Auf der Suche nach den frühesten Lebensspuren sind Wissenschaftler immer tiefer in das Dunkel fernster Vergangenheit vorgedrungen. Die frühesten bisher bekannten Lebenszeichen identifizierte kürzlich eine amerikanische Forschergruppe aus einer Zeit, die 3,3 Milliarden Jahre zurückliegt. Dabei handelt es sich um ein Überbleibsel von Organismen mit bereits fortgeschrittener Struktur: Die Photosynthese war damals bereits erfunden.
Lange Zeit lag die Grenze der Erkenntnis über die Vergangenheit des Lebens bei etwa 600 Millionen Jahren vor unserer Zeit. In den Ablagerungen des „Kambrium“ genannten Erdzeitalters, das um diese Zeit begann, hatten Paläontologen die versteinerten Reste von Algen sowie von zahlreichen Meerestieren gefunden, unter denen bereits alle Stämme des Tierreiches außer den Wirbeltieren vertreten waren.
Natürlich kann das Leben nicht mit einer Fülle relativ hoch entwickelter Lebewesen angefangen haben. Noch ältere Gesteinsschichten aber hatten sich für Fossiliensucher als unergiebig erwiesen. Diese „vorkambrischen“ Ablagerungen waren im wechselvollen Lauf der Erdgeschichte durch Druck und Hitze in tieferen Regionen der Erde derart starken Veränderungen ausgesetzt, daß die Forscher keine Strukturen von Lebewesen mehr zu erkennen, vermochten.
In neuerer Zeit gelang es dennoch, Funde zu machen, die den dunklen Zeitraum zwischen der Entstehung der Erde vor etwa 4,5 Milliarden Jahren und dem Beginn des Kambriums vor 600 Millionen Jahren zu erhellen begannen. Es zeigte sich nämlich, daß vereinzelt auch sehr alte Gesteinsschichten der tiefgreifenden Umwandlung durch Druck und Hitze entgangen sind und daß unter besonders günstigen Umständen selbst sehr leicht zerstörbar anmutende Organismen erstaunlich klare Spuren hinterlassen haben.
Die Grenzen der übersehbaren Spanne des Lebens konnten immer weiter in die Vergangenheit der Erde zurückgesteckt werden. Noch in 3,1 Milliarden Jahre alten südafrikanischen Gesteinen wurden Lebensspuren – Reste von Mikroorganismen – entdeckt. Der amerikanische Paläontologe Elso S. Barghoorn von der Harvard-Universität machte 1965 diese Funde, die nur mit dem Mikroskop zu erspähen waren: stäbchenförmige Bakterien von weniger als einem tausendstel Millimeter Länge sowie Kügelchen, die einen Durchmesser von knapp einem fünfzigstel Millimeter besitzen und die Barghoorn für Blaualgen hielt.
Traf die Deutung zu, daß es sich bei den Kügelchen um Blaualgen handelt, so mußte zu diesem frühen Zeitpunkt der Erdgeschichte bereits die Photosynthese erfunden worden sein, der wichtigste chemische Prozeß auf der Erde, der nur in Pflanzen vor sich geht. Mit Hilfe der Sonnenenergie bauen die Pflanzen aus Wasser und Kohlendioxyd energiereiche Substanzen auf, von denen alle Tiere und auch die Menschen – zum Teil über den Verzehr von Tieren – ausschließlich leben. Ein sicherer Nachweis, daß die Kügelchen wirklich Blaualgen waren und bereits den Trick der Photosynthese beherrschten, ließ sich mit dem Mikroskop jedoch nicht führen.
Jetzt gelang einem Team, das William Schopf, ein Mitarbeiter Barghoorns, leitete, der Nachweis, daß Lebewesen sogar schon früher Photosynthese betrieben. Schopf, Dorothy Z. Oehler und Reith A. Kvenvolden untersuchten uralte südafrikanische Gesteine, in denen auch mit dem Mikroskop keinerlei Lebenszeichen mehr zu erkennen waren. Wohl aber enthielten die Gesteine Kohlenstoff.
Wie andere chemische Elemente besteht auch Kohlenstoff aus verschiedenen Atomsorten, Isotope genannt, die sich nicht in den grundlegenden chemischen Eigenschaften, aber unter anderem im Gewicht und in der Stabilität der Atome unterscheiden. Von den sechs Kohlenstoff-Isotopen sind vier radioaktiv und zerfallen nach relativ kurzer Zeit. Die beiden anderen, Kohlenstoff 12 und Kohlenstoff 13, sind stabil. Schopf und seine Mitarbeiter untersuchten nun das Verhältnis zwischen Kohlenstoff 12 und Kohlenstoff 13 in den alten Gesteinen.
Dabei machten sie eine bemerkenswerte Entdeckung. In Gesteinen bis zu einem Alter von 3,3 Milliarden Jahren lagen die beiden Kohlenstoffsorten im selben Verhältnis vor wie in viel jüngeren Ablagerungen, die Pflanzenreste enthielten. In noch älteren Gesteinen indes wich die Zusammensetzung des Kohlenstoffs aus den beiden Isotopen merklich ab.
Dafür gaben die Forscher folgende Erklärung: Pflanzen bevorzugen bei der Photosynthese Kohlendioxyd, das Kohlenstoff 12 enthält. Wenn der Kohlenstoff in den bis zu 3,3 Milliarden Jahren alten Gesteinen dieselbe Zusammensetzung hat wie Kohlenstoff aus viel jüngeren Ablagerungen, die eindeutig pflanzliche Reste enthalten, so spricht das dafür, daß auch der alte Kohlenstoff aus Pflanzenresten stammt, also durch Photosynthese zusammengetragen wurde. Daß der Kohlenstoff in noch älteren Gesteinen eine andere Zusammensetzung aufweist, deutet auf eine andere Herkunft hin. Dieser Kohlenstoff ist offensichtlich, nicht von Pflanzenresten übriggeblieben, er hat nichts mit Photosynthese zu tun gehabt.
Schopf und seine Mitarbeiter halten es für möglich, daß der in der südafrikanischen Gesteinsserie beobachtete auffällige Wechsel in der Zusammensetzung des Kohlenstoffs vor 3,3 Milliarden Jahren den Beginn der Photosynthese markiert. Wird dieser Schluß akzeptiert, dann läßt sich eine weitere Folgerung nicht umgehen: Da es sich bei der Photosynthese schon um einen sehr komplizierten Lebensprozeß handelt, müssen die ersten Lebewesen auf der Erde noch Wesentlich vor dieser Zeit entstanden sein.
Von Erwin Lausch
28. Juli 1972, 7:00 Uhr
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